An diesen Wangenknochen kann man sich schneiden: Chloe Waldorf gehört zu den spannendsten Drag-Persönlichkeiten Deutschlands.
Auf Instagram zählt sie bereits über 65.000 Follower, Tendenz steigend. Mit ihrer Supermodel-Ästhetik und einem Talent für aufwendige Make-up-Looks begeistert die in Stuttgart geborene Fashionista sowohl online als auch bei Live-Auftritten. Wir haben die Drag-Queen in ihrer Wahlheimat Berlin getroffen, um über Perücken-Pannen, Reaktionen ihrer Eltern und RuPaul’s Drag Race zu sprechen.
WAF: Bist du überhaupt damit komform, wenn man dich als Drag-Queen bezeichnet?
Chloe Waldorf: Mir ist total wurscht, wie genau man es nun nennt. Die coolere Beschreibung wäre wahrscheinlich noch „Visual Artist“, aber am Ende des Tages ist es eben Drag.
Wann und wie kam es zur Erschaffung der Kunstfigur Chloe Waldorf?
Mit Chloe habe ich vor vier Jahren begonnen. Damals war die Community in Berlin noch gar nicht so groß und niemand hat genau das gemacht, was ich gut fand. Deswegen habe ich das selbst in die Hand genommen.
Wie kam der Name zustande?
Ich wollte schon immer einen Hund namens Chloe haben. Den Hund habe ich nie bekommen, deswegen wurde es halt mein Drag-Name. Zusätzlich habe ich zu der Zeit viel Gossip Girl geschaut. Durch den Charakter Blair Waldorf, kam ich auf meinen endgültigen Künstlernamen.
Wie würdest du Chloe beschreiben?
Als Rich woman.
Wie lange dauert die Verwandlung?
Allein für das Make-up brauche ich ungefähr drei bis vier Stunden. Außerdem mache ich meine Haare selbst, was auch Zeit kostet. Das Anziehen dauert noch mal weitere zwei Stunden … Sagen wir einfach, es ist super viel Arbeit.

Wann bist du das erste Mal mit Drag in Kontakt gekommen?
Das war damals in Stuttgart. Aber es gab dort höchstens eine Quoten-Drag-Queen, die ab und zu auf irgendwelchen Gay-Partys anzutreffen war. Wirklich reingekommen in die Szene, bin ich erst durch den Umzug nach Berlin.
Wen siehst du als ein Idol?
Ich bin überhaupt kein Fan-Girl, war ich noch nie. Ich finde oft cool was Leute tun, aber ich sehe nicht zu Personen auf oder stelle sie auf ein Podest. Als casual interest würde ich noch Models wie Daphne Guinness oder Vittoria Ceretti angeben. Außerdem alles, was John Galliano je gemacht hat.
Hast du eine Eigenschaft entwickelt, die erst durch die Entstehung von Chloe kam?
Mir ist es komplett egal geworden, was Leute über mich denken. Ich sehe Sachen allgemein lockerer. Meine Eltern waren sogar letztens bei einer Burlesque-Show von mir, bei der ich bloß in Unterwäsche gekleidet war. Ich fand das überhaupt nicht komisch oder peinlich. Alles ist irgendwie easier.
Hat ihnen der Auftritt denn gefallen?
Ja, sie haben es geliebt! Sie haben das Ganze gefilmt. Besonders meine Mutter findet das super.
Berlin wird besonders im Ausland als eine Art Gay Paradise gesehen. Fällt es dir leicht, als Drag-Queen auf die Straße zu gehen?
Es kommt auf den Bezirk an. In Mitte kümmert es keinen, aber in Neukölln wurde ich sogar einmal auf der Straße angespuckt. Zum Glück kam in der Sekunde der Wind, deswegen hat es mich nicht getroffen. Es macht dich auch einfach sensibler für jene Menschen, die sich tagtäglich Anfeindungen anhören müssen, allein aufgrund ihres Aussehens. Zahlreiche sexuellen Belästigungen sind natürlich auch dabei. Ich halte mich eben dort auf, wo ich mich sicher fühle.
Performst du gerne vor Publikum?
Nein, ich hasse es. Außer ich mache eine Nummer, die ich wirklich richtig gut finde. Eigentlich dient es bloß zur Weiterentwicklung des Charakters. Auf der Bühne tanzen, in Spagate zu springen und vor Menschen aufzutreten sind einfach nicht meine Lieblingsbeschäftigungen. Ich gehöre null zu den Drag-Queens, die darin aufgehen.
Bedeutet das, dass du zögerst bevor du einen Job annimmst?
Nein, das Geld kann man immer gut gebrauchen. Jedoch sind die Gagen in den meisten Fällen ein Witz.

Wie sieht es mit Trinkgeld aus?
Wenn du Trinkgeld willst, dann musst du aufhören in Deutschland aufzutreten und woanders hingehen. Hier tippen die Menschen einfach nicht.
Was kann man sich unter einer Performance von Chloe Waldorf vorstellen?
Ich mache alles Mögliche! Im Gegensatz zu meinem Instagram-Profil, auf dem ich sehr seriös rüberkomme, sind meine Auftritte oft simpel und witzig gehalten. Eine Lieblingsnummer, die ich gemacht habe, war eine Lip-Sync-Performance von Jordan Sparks‘ „No Air“, bei der ich die ganze Zeit Kette geraucht habe. Zum Finale habe ich mir schließlich eine ganze Stange Zigaretten auf einmal im Mund angezündet. Ich bin fast gestorben, aber es war einfach eine gute Nummer. Eine Idee war es auch schon immer, jemanden live auf der Bühne zu fisten, aber das ist wahrscheinlich zu Hardcore.
Es kommt auf den Club drauf an.
Ja! Es wäre einfach nur witzig. Vielleicht irgendwann, wenn ich um die 40 bin. Dann reiß ich das noch mal. In Berlin musst du einfach immer etwas auf der Bühne bieten. Hübsch sein allein reicht nicht!
Was war bisher deiner beste Auftritt-Erfahrung.
Das war eine Show in Paris. Die Leute dort waren einfach krass und sind ausgerastet, als ich mit Hungry [Hungry ist eine deutsche Drag-Queen, die vor allem für ihren künstlerischen Make-up-Stil bekannt ist, Anm. d. Red.] im Club ankam. In Berlin interessiert es beinahe keinen und wenn, wirst du bloß belächelt. In Paris dagegen jubeln die Menschen allein schon, wenn du aus dem Taxi steigst. Wir haben sogar Trinkgeld bekommen!
Und die Schlimmste?
Bei dem Indie-Magazine-Event ist mir meine Perücke weggeflogen. Es war schrecklich heiß in dem Club, da hat der Kleber nicht mehr mitgehalten. Ich hatte auch vorher keine Haarklammern reingemacht, weil ich nicht davon ausgegangen war, super verrückt auf der Bühne abzugehen. Aber dann ist es einfach passiert. Es hat zum Glück keiner gesehen. Man hat es mir spätestens an meinem schockierten Gesicht angesehen.
Fühlst du dich wohl in der Berliner Drag-Szene?
Es gibt leider nur eine Handvoll Queens in Berlin, die wirklich noch eigene Partys veranstalten. Das finde ich schade. Aber ich gehöre sowieso keinem festen House mehr an und bin in keiner größeren Community verankert. Hauptsächlich mache ich das mit einer kleinen Gruppe von Freunden.
Wie stehst du zu Mainstream-Formaten, wie RuPaul’s Drag Race? Würdest du zusagen, wenn du eine Einladung bekommen würdest?
50/50. Das Geld würde mich locken, keine Frage. Auch die vielen Möglichkeiten, die man durch die Show bekommt, sind bestimmt klasse. Eine deutsche Edition von RPDR würde auch bedeuten, dass Drag-Queens bessere Chancen hätten, mehr im Mainstream aufzusteigen und ernster genommen zu werden. Allerdings würden auch viel mehr Hass-Kommentare folgen.
Wie reagierst du auf negative Kommentare unter deinen Posts?
Tatsächlich bekomme ich keine! Jedenfalls noch nicht. Es wäre auch cool, wenn das so bleiben würde. Hin und wieder lösche ich den ein oder anderen Kommentar von einem der 12-jährigen RuPaul-Fangirls, aber das passiert sehr selten.
Mit welcher Drag-Queen würdest du gerne für einen Tag lang tauschen wollen?
Ich denke, mit keiner. Eben wegen diesem ganzen Fame-bedingten Stress. Ich würde lieber gerne mit einer reichen Frau tauschen wollen. Kennst du Jaime Chua? Ihr Leben möchte ich haben. Oder eher gesagt, ihren Kleiderschrank. Sie hat die weltgrößte Birkin-Bag-Sammlung! Das wäre dann aber besser kein Tausch für einen Tag, sondern lieber for a lifetime.
Nenne das größte Pro und das größte Kontra am Drag-Queen-Sein.
Pro: Du kannst sein wer du willst und machen was möchtest. Kontra: Es ist verdammt viel Arbeit und geht mächtig ins Geld.
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